Mittwoch, 28. Mai 2014

Ein zweites Fazit



Es wird mir vermutlich auf ewig unverständlich bleiben, wieso solch ein kleines Land mit so vielen Menschen und so schlechten Straßen, so viele Autos braucht. Das hat eher etwas mit einer überfrachteten Spielzeugrennbahn zu tun als mit individueller Mobilität. "Illalu" wie der Malteser sagt.

Malta ist nicht perfekt und es gibt Defizite jenseits der Straßenqualität über die man sich ganz vergnüglich aufregen kann. Wenn man es denn will.
Man kann sich hier aber sehr gut einfach nur zurück lehnen um den Aufenthalt auf dieser liebenswerten Insel zu genießen.
Die drei bekanntesten Gründe, die gern zitiert, Malta zum bevorzugten Auswanderungsziel machen sollten, waren schon immer das Wetter, die Steuern und die englische Sprache. Doch es gibt so viel mehr, was dafür spricht hier über einen Urlaub hinaus - einfach nur - zu sein.

Es war im letzten Jahr als unsere Kleinfamilie sich dazu entschied, Deutschland und allem was uns dort genervt hat, den Rücken zu kehren, um unser Glück in der Fremde zu suchen. Malta erschien uns dafür sehr gut geeignet und es fand sich sogar ein Job, von dem man leben konnte.
Unser Motto lautete von nun an:

Orangenhain statt Friedrichshain und Leuchtturm statt Fernsehturm!
 
Diese große schwarze Kiste mit der Aufschrift "Auswanderung", die bis dato vor uns hergeschoben wurde, sollte  endlich geöffnet und deren Inhalt in Augenschein genommen werden. Mittlerweile haben wir diese Kiste ordentlich durchwühlt, ein paar Sachen rausgenommen und einiges wieder zurück gelegt. Doch wir wissen nun ziemlich genau, was sich darin befindet.

Nach einer halben Ewigkeit vor Ort ziehen wir jetzt Bilanz, vor allem deshalb weil dieses Kapitel bis auf weiteres beendet wird. Unsere Kleinfamilie entwickelt sich gerade - quantitativ - zur Durchschnittsfamilie und diverse Umstände bringen es nun mit sich, dieser Expansion in Sachen Nachkommen in Deutschland nachzukommen.  

Nach vielen Jahren zwischen all den Dichtern und Denkern, war es toll etwas anderes kennenzulernen und stattdessen bei Fischern und Finanziers zu leben. Ein Land, kaum größer als der Berliner S-Bahn Ring klingt erst mal nach kultivierter Ödnis. Ruhe kann ganz schön sein (und ist es auch), wenn man morgens aufwacht, durch die leicht geöffnete Balkontür, fremdsprachiges Geplauder von der Straße hört und wärmende Sonnenstrahlen auf der noch nicht von Sonnencreme veredelten Haut spürt. Jeder Wochentag kann auf diese Weise wie ein Sommersonntag beginnen. Natürlich ist das nicht immer so und besonders der Winter ist wegen fehlender Heizungen ziemlich unangenehm, doch knapp 300 Sonnentage im Jahr geben eine klare Richtung vor.

Egal wo man sich in Malta befindet, stets ist die Gewissheit vorhanden, nie länger als eine halbe Stunde vom Meer entfernt zu sein – und dann auch noch zwischen Strand oder Steilküste wählen zu können. Je näher man dem Meer kommt, desto spürbarer wird die leichte Brise von dort und macht damit, den doch sehr heißen Sommer wieder erträglich. Lässt man dann die Gedanken und den Blick über die Wellen schweifen, fühle ich mich gleich etwas entspannter und sehr erdverbunden (oder meerverbunden?).

Das ist vielleicht auch das Geheimnis der maltesischen Mentalität. Dieser Mix aus mediterranem Temperament, britischer Zurückhaltung und manchmal auch originärer Muffligkeit, begeistert mich sehr – falls man überhaupt Nationalitäten so pauschal charakterisieren kann. Nach der anfänglichen, höflichen Zurückhaltung der Einheimischen, fühle ich mich zunehmend integriert und akzeptiert. Egal ob wir es Nächstenliebe im religiösen Sinne oder unberechnende Hilfsbereitscheit und Offenheit nennen, es macht einfach Spaß hier angekommen zu sein. Lange habe ich überlegt, was den Unterschied zu Deutschland ausmacht und kam erst dahinter, als ich über die kleinen Alltäglichkeiten gedanklich stolperte.

Wie selbstverständlich bringe ich morgens oder am Vorabend den Müll, verpackt im Plastikbeutel und natürlich getrennt, vor die Haustür, da an sechs Tagen pro Woche selbiger früh eingesammelt wird. In Berlin würde ich jedes Mal damit rechnen, dass dank reichlich Nachwuchsrandalierern wenig später alles in der Landschaft verteilt wurde. Hier habe ich das noch nie erlebt. Genauso wenig wie mir hier Graffitis oder eine nennenswerten Anzahl von Kritzeleien an Häuserwänden begegnet sind. Ein einziges Mal ist mir frühmorgens ein Betrunkener auf der Straße entgegen getorkelt (was in den Touristenvierteln sicherlich häufiger geschieht). All das vergegenwärtigt mir dann, was ich die letzten Monate so gar nicht vermisst habe.
Während ich das schreibe, fällt mir auf, wie spießig das klingt, womit Malta mir offenbar auch half, den Spießer in mir zu entdecken.

Doch auch in anderer Hinsicht ist Malta ein Platz der zum Entschleunigen zwingen kann und jedem, der sich darauf einlassen mag eine Lektion in Gelassenheit und Demut erteilt. Wenn dieses Land Erinnerungen an Sommerferien wachruft, dann sicher auch aus nostalgischen Gründen. Der gnadenlose Amazolando-Tsunami ist weit vor der Küste verebbt und es existiert immer noch eine echte Einzelhandels-Struktur in der Nachbarschaft. Wenn mir hier der Gemüseonkel erzählt, was noch zu meinem Einkauf passt und was andere gekauft haben, die sich ebenfalls für Erdbeeren interessierten, dann sind dessen cookies auf der Festplatte, nur die angebotenen Kekse auf den harten Regalbrettern.

Überhaupt ist das Land in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht so herrlich bedeutungslos, dass jeder Selbstbehauptungsdrang und Globalisierungsanspruch höchstens im Bereich der europäischen Kundenbetreuung stattfindet. Durch meine Arbeit werde ich jeden Tag an das deutsche Selbstverständnis erinnert, stets darauf bedacht zu sein, nicht zu kurz zu kommen, kein Schnäppchen zu verpassen und offenbar anderen nichts gönnen zu können. Wäre ich Deutschland würde mir das vermutlich kaum auffallen, doch hier könnte der Unterschied kaum größer sein.

Malta zu verlassen ist sehr bedauerlich, doch dass es jedoch zurück nach Deutschland geht, ist wirklich bitter. Das maltesische Leben ist einfacher, vielleicht auch bescheidener, vor allem jedoch unkomplizierter.

Ein guter Grund trotzdem die - vorläufige - Rückkehr anzutreten, wächst gerade heran und wird ein Bestandteil unserer Familie sein, diese bereichern, mit uns wachsen, uns sicher auch fordern und Prioritäten setzen, die wir derzeit vermutlich nicht einmal erahnen. In jedem Fall wird Es ein sehr exklusives Souvenir sein – Made in Malta!
 
 
 
Draußen zieht, ein Schiff vorbei am Pier.
Wir wollten für immer, und kamen bis hier.
Sicher ist, dass nichts sicher ist
Verklär' die Zeit, die uns noch bleibt
und mach sie heute schon zur schönsten meines Lebens.
(Ilja Schierbaum, "Verklär' die Zeit")

 

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